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Die Moral und die Herde: Einige Gedanken in Anlehnung an Nietzsche und Schopenhauer

Werte Leser,

die Analyse und Bewertung der staatlichen Corona-Maßnahmen nach Begründung, Zweck und Ergebnis ist ohne Zweifel eine vornehme Aufgabe für alle redlichen Bürger, die den Motiven des staatlichen Managements und staatlich zertifizierter Experten misstrauen. Zu oft schon hatten sie Gelegenheit den Charakter des höheren Staatsmanager-Typus in seinen Handlungen zu beobachten, als dass sie hinter deren listenreichen Worten über Mitgefühl und Mitleid nicht die egoistischsten Motive hätten übersehen können. 

Nun ist dieser Typus keineswegs besonders hervorgehoben in seinem egoistischen Antrieb, nur weiß er besonders erkenntnisreich und geschickt die Vorteile zu nutzen, die ihm die Herde bietet. Wie sollte der zum Podium Emporgestiegene die fieberhafte Sehnsucht der modernen Masse nach Mitgefühl und Mitleid nicht befriedigen, gleich einem Leinwandhelden, gleich einem Schauspieler? Die Masse dürstet nach moralischem Schauspiele, heutzutage genauso wie es immer war. Der Mensch bleibt in seinen Triebfedern gleich, nur die Erkenntnisse und die Motive ändern sich von Zeit zu Zeit. Gut ist das, was mir nutzt. Böse ist das, was mir schadet. So spricht der Sklave. Gut ist das, was ich bin. Schlecht ist das, was mir unterlegen ist. So spricht der Herr. Das nackte Gesicht hinter jeder Morallehre ist eines und war schon immer eines: perspektivisch.

Der Emporgestiegene nimmt sich die Herde zum Dienst, indem er ihr Motive gleich einer Schnur um ihren Glauben, um ihre Instinkte legt. Er spricht: „Da ist das Böse! Da ist das Leid! Da ist Euer Mitleid!“ Das ist Politik, das ist Amtskirche, das ist Hollywood, das ist Moralpolitik, das ist Wille zur Macht in seiner elaboriertesten Art.

Drei Triebfedern des Menschen sind es, die den Kosmos der Morallehre aufspannen: Egoismus, Mitleid und Bosheit. In diesen Koordinaten bewegt sich das Denken der Herren und Sklaven, wenn sie auf die Herde hinabblicken. Sie wollen die Herde hinter sich vereinen, ihnen sollen sie folgen. So sprechen sie in Corona-Zeiten: „Hier sind Eure Motive: Selbstschutz für Euren Egoismus, Fremdschutz für Euer Mitleid, Ungeimpfte für Eure Bosheit.“ Die Glaubenswissenschaften liefern fröhlich das Glaubenswissen für diese Instinkte, für diesen wahrlich aufgeklärten Glauben, für diese Moral. Auch die Massenerzieher, die Leitmedien, lieben das Schauspiel, lieben die Moral. Sie verkauft sich nur allzu gut.

„Und die Westfälische Nachrichten kommentierte ‘mit 2G auf dem richtigen Weg’. Und junge Menschen in Münster erhoben ihre Stimme auf dem Domplatz zu einem heiterem Geschrei: ‚Wir impfen Euch alle! Wir impfen Euch alle!‘ Und ich schaute nach links: Ein Mädchen, vielleicht 6 Jahre alt, tippelte über den Platz an dem Geschrei vorbei. Ihr Gesicht hinter einer schwarzen Maske. Und ein großer Zorn über deren Werk war geboren.“

Und heiter geht es weiter. 

Die Angst vor Rangverlust und Unterwerfung unter das Joch anderer Motive und anderer Herren treibt heute viele, in nostalgischer Manier der christlichen Moral- und Heilslehre zu gedenken. Doch fehlt ihnen auch die Erinnerung an den rechten Geschmack dieser Lehre. Egoismus und Mitleid schmecken diese Menschen nur allzu modern zusammen. Sie träumen von der Bewunderung feiner Gesellschaft, von Fesseln, die sie sanft binden, von Kerzenlicht und Mürbeteig. Vor lauter Bequemlichkeit ist ihr Geschmack an der jesuanischen Askese und nach Abseitigem schon lange verloren. Sie sind wie die Kamele nach der Tränke, vollgesogen mit trüben Wasser. Ebenso ist ihr Glaube an die Frohe Nachricht nicht mehr als ein Glaube an einen Glauben an einen Glauben — gleich einem Echo am äußersten Rande der Frequenz. Die Opferung des Reiches Gottes für das Nichts ist längst vollzogen, sofern es überhaupt jemals einen wahrhaften Glauben zu opfern gab — die zur Zierde und als Vorbild gerne hervorgehobenen Selbstopfer-Glaubens-Märtyrer hier vielleicht ausgenommen. Zeugnis ist die allgegenwärtige, zermürbende Todesfurcht in den Eingeweiden des modernen, europäischen Christenmenschen; oder sollen wir lieber sagen Kirchenmenschen, oder sollten wir lieber sagen Amtsmenschen? Sie haben den Geschmack am Tode nimmermehr gefunden und nie an der abseitigen Moral. Wovon reden sie also, wenn nicht allein über ihre Angst und ihren Besitz? 

Dieses Reden der Amtsmenschen von christlicher Tradition und christlichen Werten aus der inneren Not des ungläubigen Verstandes heraus ist keineswegs zu missachten oder zu verabscheuen. Es ist nur allzu menschlich, dieser Egoismus, diese heilige Selbstliebe, dieser Wille zum Leben, dieser Wille zur Macht. Er scheint nur unter all den Annehmlichkeiten etwas verkümmert, etwas eingegangen, etwas unbewusster geworden zu sein. So ist auch ihre Angst zu erklären vor denjenigen, die durch ihr Überleben in Armut, durch ihren Kinderreichtum hinreichend Zeugnis ihres Willens geben, die unverständig sind für moralisches Gerede, die sich voller vitaler Selbstliebe und Willen alles nehmen, was sie bekommen können. Wer könnte die Angst der Amtsmenschen nicht nachfühlen? Wie werden sie nur kämpfen, wenn sie die Maslowsche Pyramide wieder hinabsteigen müssen?

Und weiter.

Die Morallehre der Moralisten verdammt die Anderes-Wollenden und rechtfertigt die Gleiches-Wollenden und die ihnen Nützlichen. Abtreibung ist eine Sünde, Abtreibung ist emanzipiert, Abtreibung ist ein Nichts. Heitere, schöne Moral. Abtreibung, Schwangerschaftsabbruch, technische Wörter, für den Abstand, für das medizinische Geschäft, für das Nichts. Wer ist mutig? Wer spricht wahr: „Ich will das Leben in mir abtöten! Ich will das Leben in Dir abtöten“. Wer steht immer noch aufrecht und kann den Grund benennen: „Hier ist mein Motiv!“? Oder war es bloß Instinkt? Oder bloß Gehorsam? Munter schreien die Moralisten: „Du sollst Mitleid mit dir selbst haben!“, „Du sollst dich selbst lieben!“, „Du sollst Deinen Nächsten lieben!“. Sexualmoral, Arbeitsmoral, Lebensmoral, Kampfmoral. Das Schauspiel der Moralisten ist allgegenwärtig, durchzieht jeden Lebensbereich, die privatesten Gespräche, die geheimsten Gedanken. Alles soll Herde sein. Vielfalt zur Einfalt. Toleranz zur Intoleranz. So wollen sie es. 

Wo verstecken? Wie aussperren? Es braucht Mauern und Nerven aus Stahl, um sie draußen zu halten. Oder braucht es einen mutigen Gegenkonter? Was nützt die Widerrede? 

„Ich misstraue allen Herren und allen Sklaven, denn es ist ihre Eigenart, sich meines Mitleidens zu bedienen, es zu missbrauchen, mich durch moralisches Gerede zu verführen und zu erniedrigen. Ist ihr Gerede von Moral nicht das Gerede von Pflichten? Ist ihr Gerede von Pflichten nicht Wille zur Macht? Was sollte es Anderes sein? Ich weiß das Mitleid als erhabenes Gefühl zu schätzen. Es ist eine lebendige Urkraft. ganz synthetisch, ganz kategorisch, ganz empirisch. Ich brauche keine Motive aus dem Jenseits. Ich brauche keine Zeichen des Herrn. Ich brauche keine Vorbilder auf Leinwänden. Ich brauche keine Moralbehörde. Ich brauche keine Belehrungen durch Ethikräte und Philosophaster. Ich brauche kein „Du sollst“. Ich brauche keinen moralischen Imperativ. Denn gleich meinem Verstand und meiner Vernunft ist das Mitleiden Teil meines Seins, meiner DNA, meines Ich. Es ist Jenseits von gut und böse. Es ist Jenseits von gut und schlecht. Es ist Jenseits der Moral.“ 

Nur das einsamste Individuum mag so klein und unbedeutend denken und sprechen. Es lebt im Verborgenem. Versteckt sich vor dem Willen der anderen. Es hat Angst vor Übergriffigem. Sein Wille zur Macht so schwach, sein Wille zum Leben so stark. Niemals groß in den Augen anderer. Niemals zu monumentaler Konstruktion fähig, zur Schaffung von gesetzlicher Ordnung. In den Augen der Herde ein Niemand, eine Schwere, ein Nichts. Und doch ist es mitten unter ihnen.

„Ich gehe. Ein Fuß vor den anderen. Ein Atemzug nach dem anderen. Ein Herzschlag nach dem anderen. Ruhig, kraftvoll. Die Sonne scheint. Zweige und Blätter rauschen leise über meinem Kopf. Und unter meinen Füßen sind Wurzeln und feste Erde.”

Der Wille, der sich selbst will. Das ist der Kern des Individuums. Das ist der Wille zum Leben. Das ist Leben. Welch herrliches Wuseln, Streben und Wachsen. Wie die Ameisen. Wie die Käfer. Doch alsbald auch heiliges Gerangel und heiligster Kampf, ums Hiersein, ums Dasein. Wolken ziehen auf. Grenzen, Mauern, das Wollen der anderen, der Wille zur Macht so stark.

Einsamkeit, Schwere, Tod. Diese Naturen sind dem Individuum nahe. Sie sind seine Not.  

„Meine Schwester ist gestorben. Kurz vor Weihnachten letztes Jahr. Brustkrebs und Gebärmutterhalskrebs. Sie war 48 Jahre alt. Ein Jahrzehnt lebte sie mit der Krankheit in sich, ängstlich, trotzig, einsam. Sie suchte nach einem Ausweg, nach dem Leben. Doch konnte sie keinen Ausweg aus diesem Labyrinth finden. Bald kamen die Schmerzen. Sie ertrug die Schmerzen, solange sie konnte. Sie wusste, wenn sie die Schmerzen nicht mehr ertragen könnte, wäre der Tod nahe. Und die Zeit kam, in der die Schmerzen unerträglich wurden. Ich sah sie ein letztes Mal. Ein letztes Gespräch. Noch immer war ihr Wille zum Leben da, eine gewaltige Urkraft. Eine letzte Umarmung. Ihr Herz flatterte an meiner Brust. Ich erinnerte mich, es war wie der Herzschlag eines neugeborenen Kindes. Der Wille ging fort, ebenso der Schmerz und die Angst.“

Einsamkeit, Schwere, Tod. Ihr Geschmack ist bitter. Die Wenigsten verstehen ihn zu schätzen. Die Meisten wollen ihn nicht schmecken. Alle müssen ihn doch kosten. Ablenkung tut Not. Hilfe tut Not. Hoffnung tut Not. Die Herde, die Moral, hier ist ihre Quelle zwischen Leben und Tod im Individuum, im Willen, der sich selbst will, im Willen zum Leben. Ihre heilige Quelle ist nicht der Wille zur Macht, ist nicht der Emporgestiegene, ist nicht der geschickteste Verführer, ist nicht der Erlöser-Typus. Sie verstehen ihn nur für sich zu nutzen. Das muss bei allem nur allzu berechtigten Misstrauen gegen die Hirten, Herren und Sklaven beachtet werden.

Und immer heiter weiter.

Viele Hirten und viele kleine Herden. Die niedersten Morallehren vermehren sich wie die Fliegen auf dem Nährboden der medialen Möglichkeiten. Eine Morallehre für den Überlegenen, eine für den Unterlegenen, eine für den Mann, eine für die Frau, eine für den Unentschiedenen, den Kinderlosen, den Arbeitslosen, den Moslem, den Christen, den Atheisten. Alle wollen sich erhoben wissen, zumindest in den Augen ihrer Artgenossen. Wollen überleben. Wollen gut leben. Wollen auch ein wenig Macht spüren. Gott und Kirche sind geschrumpft in den Köpfen. Die zersplitterte Moral, völlig nackt nun erscheint sie in ihrer ganzen Pracht wie sie schon immer war, ganz auf die Bedürfnisse der Herden zugeschnitten, rein perspektivisch, rein egoistisch. Was ein herrliches Gehaue und Gestampfe. Spaltung und Abspaltung überall. Manch geblendetes Individuum frohlockt angesichts dieser Fata-Morganen, wähnt es sich nun nicht mehr Teil einer Herde. Welch böses Erwachen. Mit ihm kommt die Verzweiflung.  

Wie doch nur zusammentreiben die große Herde, die Mehrheitsgesellschaft, wider die große Verzweiflung der ängstlichen Küken? Eine Moral für den kleinsten gemeinsamen Nenner, für das Einheitsmaß, für das Mittelmaß? Wohl kaum. Freiheit zur Einheit? Vielfalt zur Einheit? Wohl kaum. Der Einheitsbass, der Schlagerstampf, der frenetischste Jubel in den Stadien, die schönen Schaufenster, die bunten Slogans — Ablenkungen sind es wahrlich, aber das reicht nimmer mehr.  Die überreizte und flatterhafte Psyche der Küken ist der Ablenkung bald überdrüssig, dann verlangt sie nach echtem Schauspiele, nach dem authentischsten Mitlachen, Mitleiden und Mitschlagen. Tiefgang und Druck in der Moral braucht es, um sie zusammenzutreiben. Doch woher soll eine feste Moral in ihre Köpfe und Herzen kommen? 

Die Ereignisse und Umstände machen die Moral und die Herde. Ökonomischer Druck ist schon etwas Handfestes. Millionen ökonomische Absteiger — Unterlegene, verachtet von den eigenen Eltern, die es noch zu eigenem Haus mit eigenem Garten geschafft hatten —, die sich und ihre Wertigkeit neu ordnen und einsortieren müssen, und Millionen ökonomische Flüchtlinge voller zerbrechlicher Wohlstandsträume und brennendem Egoismus sind doch eine beträchtliche Herde, oder nicht?  Hilft den Absteigern, den Christen- und Amtskindern ihre weltliche Moral, ihre Umweltmoral zur Erhebung, zum Wohlbefinden und zur Rechtfertigung ihrer Handlungen noch, wenn sie sich kein veganes Steak, keine glücklich produzierte Jeans, kein Wir-sind-besser-Konzert, keinen fair-trade Kaffee und keine warme Mietwohnung mehr leisten können und sie den Schmutz, den Dreck und die stinkenden, anrüchigen, verdächtigen Mitfahrer in Bus und Bahn nicht mehr aushalten?  Sind sie nicht immer brav zur Schule und in die Uni gegangen? Und die Flüchtlinge? Hilft ihnen ihre Flüchtlingsmoral, ihre Alte-Heimatliebe-Moral, ihr spröder Stolz, ihre schale Tradition noch in einem Umfeld des wirtschaftlichen Niedergangs? Niemand heißt sie mehr willkommen, die Christen- und Amtskinder brauchen sie nicht mehr für ihre Erhebung, selbst die Vorangegangenen wollen sie nicht. Und das Unterlegenheitsgefühl, die Ohnmacht, die Entbehrungen, die Einsamkeit lastet schwer auf ihnen. Nach welcher Moral verlangen sie dann, um sich mit einer ideellen Wertigkeit über ihren Platz in der materiellen Rangordnung hinwegzutrösten? Oder geben sie sich zufrieden, ab und zu auf die noch unter ihnen Stehende, die Untersten der Unteren, die Schwächsten der Schwachen, die Dümmsten der Dummen einzutreten? Sind sie dann noch zu Mitleid willens? Oder wollen — müssen sie gar — ihren Platz neu erkämpfen? Doch wo und gegen wen?   

Der Kampf um handfeste Ressourcen ist das fundamentalste und transparenteste Spiel des Lebens — wenn die überlebenswichtigen Ressourcen sehr knapp sind, ist es ein Spiel auf Leben und Tod. Gerechtfertigt und erhoben ist derjenige, der über Ressourcen bestimmen kann. Ungerechtfertigt und erniedrigt ist derjenige, der das nicht kann. In vielen Gedanken eine gar unzivilisiert, archaisch anmutende Moral, und doch, gleichsam einem Lebensgesetze, liegt sie als fundamentaler Kern jeder Zivilisation, jeder Kultur, jedem Volke, jeder beständigen Herde zugrunde. 

Eine Herde geeint im gewähnten oder echten Überlebenskampf um Ressourcen ist gefesselt durch das stärkste Band, ihren Willen zum Leben. Gleichsam gefesselt und auf die engste Perspektive zusammengeschrumpft ist ihre Vernunft. Verzweiflung und wilde Hoffnung machen sich unbändig breit. Nun ist die Zeit für die Herdenmoral in ihrer ausgeprägtesten Form gekommen. Gut ist das, was der Herde nützt, schlecht ist das, was der Herde schadet. Solidarität, Pflicht, Autorität. Hierarchie. Das Individuum, sein Leiden, seine Freude, wird an den Rand gedrängt — hoffentlich findet es eine verborgene Nische. Die Herde trampelt und stampft. Ohne Vernunft, rein instinktiv werden Begriffe und Konzepte unter diese Moral gezerrt. Wer A sagt, muss auch B sagen. Das ist die Logik der Herde. Wissenschaft zum Nutzen der Herde, Medizin zum Nutzen der Herde, Religion zum Nutzen der Herde, Familie zum Nutzen der Herde. Die Herde reinigt sich von allem Schweren, allem Ballaste, allem Zweifel und nimmt den Kampf, den Krieg auf. Solidarität, Pflicht, Solidarität, Pflicht Solidarität, Pflicht. „Wir haben die Pflicht solidarisch zu sein!“ Major Tom an Erde: Hat das Demokratie-Management noch Kontrolle über diese Art Herde?

„Es ist der 19. März 2020. Wir sind auf einem kleinen Spaziergang bei der Havichhorster Mühle, etwas außerhalb von Münster. Ich und meine beiden Söhne, 3 und 5 Jahre. Wir sind langsam unterwegs. Die Kinder erkunden die Umwelt neugierig. Wir kommen an einem gepflegten Haus im Grünen vorbei. Ein rüstiger Mann, etwa Ende 60, steht im Garten vor dem Haus und betrachtet seine Blumen. Er spricht uns an: „Na, flüchten Sie vor Corona?“ Ich bin überrascht und antworte nach einem kurzen Zögern: „Nein, wir machen nur einen Spaziergang.“ Wir kommen in ein kurzes Gespräch. Der Mann ist merkbar aufgewühlt: „Es wird schlimm werden. Bevor die Pandemie vorbei ist, werden Millionen Menschen sterben. Auch in Deutschland.“ Ich bin abermals überrascht. Warum hat dieser Mann ein solches Schreckensszenario vor Augen? Ich versuche die Angst des Mannes etwas zu mildern: „Vieles ist doch noch unklar. Vielleicht ist das Virus doch harmloser als befürchtet.“ Ich denke dabei auch an meine Söhne, die in Hörweite spielen und bin wieder überrascht, dass der Mann darauf gar keine Rücksicht nimmt. Er schaut mich nun nach meiner Erwiderung etwas geringschätzig und überlegen an, so als ob ich gerade etwas Abseitiges und Dummes gesagt hätte. Wir gehen weiter. Meine Überraschung wäre sicher weniger groß gewesen, wenn ich gewusst hätte, dass die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, kinderlos, am 18. März 2020, also einen Tag vorher, durch eine Fernsehansprache diese Angst in der deutschen Bevölkerung tief verankert hatte. Am 22. März kamen dann die Grundrechtseinschränkungen.“

Die Corona-Zeit mit ihrer Corona-Moral und ihren Corona-Maßnahmen gibt nur ein zartes Geschmäckle davon, wie aus der Angst der Masse eine Herdenmoral erwächst. Die ökonomische Not der großen Herde in der Corona-Zeit war nicht groß. Amtsmenschen bekamen Corona-Boni, Unternehmen und Selbstständige Corona-Hilfen — funktionierte für die Meisten trotz vieler Friktionen irgendwie. Ökonomische Substanz war reichlich vorhanden. Das Demokratie-Management überzeugte in der Rolle der heroischen Lämmleinretter alla „Die Bergretter“ im ÖRR. Die Marketing-Industrie und die Glaubenswissenschaften arbeiteten fröhlich. Leben jetzt, Freiheit später. Logisch. Impfungen, statistische Signifikanzen und Prognosen als wahrlich aufgeklärte Glaubensinstrumente. Die Massenerzieher erzogen. Die große Herde blieb lenkbar. Das Misstrauen beherrschbar. 

Nun ziehen düsterere Wolken auf. Die ökonomische Substanz schwindet. Ressourcen werden knapp. Krieg steht vor der Tür. Kriegsherren bewerben sich als Herdenführer. Dieser Typus kann nicht verlieren. Er wird immer weitermachen. „Whatever it takes!“. Das Gerede über gerechte Kriege ist wieder populär. „Wie hieß nochmal der Film? Dr. Strangelove?“ Die Herde ist noch numb, noch abgelenkt, noch sediert. Wie lange noch? Wann beginnt der Sturm? Wann beginnt das Stampfen, das Trampeln, das Marschieren? 

Bleiben Sie achtsam, werte Leser?

Herzliche Grüße,
Matthias Hartermann