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Die Unfähigkeit zur Reflexion

„Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom“ – Chinesisches Sprichwort

In jüngster Zeit befassten sich zwei Beiträge des Blogs mit dem obrigkeitskonformen Verhalten von Bürgern, dieses mehr oder weniger gegen Kritiker der Coronadrangsalierungen gerichtet. Am 10. Februar 2025 erschien „Im Westen nichts Neues“, einem Monat später gefolgt von „Mensch Münster!“. Der erstgenannte Beitrag thematisiert das Verhalten von Gegendemonstranten, der zweite das Verhalten von Mitarbeitern kirchlicher Büchereien. Beide Beispiele eint, daß es trotz der nun bekannten Fakten zur politischen Steuerung des Coronageschehens (hier sind vor allem die Lageberichte des Robert-Koch-Institutes zu nennen) zu keiner kritischen Reflexion der Akteure über ihr Verhalten kam.

Eine historische Rückblende hilft. Zu den prägenden Texten der frühen Bundesrepublik gehört das 1967 erschienene „Die Unfähigkeit zu trauern“ der Psychoanalytiker Margarete und Alexander Mitscherlich. Zentrales Thema war die Unfähigkeit der Täter und Mitläufer zur Reflexion (Trauer) ihres eigenen Verhaltens im Dritten Reich. In der frühen Bundesrepublik mußte das Folgen haben. Obwohl das Buch international Reputation gewann, blieb es national weitgehend unbeachtet. Dennoch wurde der Buchtitel zum geflügelten Wort unter Kennern und Interessierten der Materie. Übrigens erhielt Alexander Mitscherlich wegen seiner kritischen Begutachtung der Nürnberger Ärzteprozesse gegen NS-Mediziner zeitlebens keine Professur. Die alten Seilschaften wirkten immer noch.

Knappe 60 Jahre später ist die Bundesrepublik keine wirklich andere. Die alten Verhaltensmuster wirken fort; nur die Themen sind andere oder werden, wie bei den „Nazis“ und „Rechten“ allerorten, thematisch uminterpretiert. So blieben auch die Befindlichkeiten eines Großteils der Bevölkerung konstant. Prägend dabei sind Verdrängung und vor allem Angst. Angst gegen Vieles im Alltag. Angst vor sozialer Ausgrenzung, Angst vor zumeist harmlosen Viren, Angst vor Atomkraft, Angst vor vermeintlich ungesunder Ernährung, Angst vor klimatischen Veränderungen, Angst vor imaginären Nazis und neuerdings Angst vor dem Russen an sich. Diese diffuse Ängstlichkeit ist derart verbreitet, daß sie als „German Angst“ Eingang in andere Sprachen wie das Englische fand.

Damit ist es nicht getan. Weil diese Ängste überdeckt werden von einem Gefühl, es besser als Andere zu wissen. Es besser zu machen und auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Gegen alle Kritiker der Verhältnisse, die doch das „beste Deutschland, das es jemals gab“ (so allen Ernstes der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Jahre 2023) nicht wahrhaben wollten. Die verbreitete Floskel vom Deutschland als Exportweltmeister in Sachen Moral bringt es auf den Punkt. Man kann diesen moralischen Rigorismus auch Überheblichkeit nennen. Einmal mehr soll an deutscher Moral die Welt genesen. Ungefragt natürlich.

Es ist diese Mischung aus Angst und Überheblichkeit bei Abwesenheit von Reflexionen über das eigene Tun, die besorgt macht. Dabei ist das Verhalten der meisten Medien nicht einmal thematisiert. Seien es die öffentlich-rechtlichen oder viele private. In der Summe werden sie von kritischen Zeitgenossen als „Mainstreammedien“ bezeichnet. Ein Begriff, der die Dinge auf den Punkt bringt: Propaganda pro status quo statt kritischer Kontrolle von Exekutive, Judikative und Legislative. Das verbindende Muster lautet, im Grunde habe man alles unter Kontrolle und es sei gut so. Trotz mancher Kritik an nachrangigen Details. Und die Entscheidungen der Obrigkeit seien alternativlos und somit auch wieder zu unser aller Wohlbefinden. So prasselt es Tag für Tag auf Nutzer der Mainstreammedien zwischen Heute und Westfälischen Nachrichten ein. Sie leben nicht nur in einer medialen Blase. Sondern sie gleichen Festplatten, welche täglich neu überschrieben werden mit ausgewählten Informationen und Deutungen dessen. Ohne sich solcher Manipulation bewußt zu sein. So verhalten sie sich dann auch in Nienberge oder in kirchlichen Büchereien. Sie folgen eifrig dem, was ihnen als gut und richtig souffliert wurde und wird. Sie haben keinen Anlaß, an der Richtigkeit ihres Tuns zu zweifeln. Sie haben umso mehr Anlaß, das Gute und Richtige nach außen zu tragen und sich damit als Glieder der recht geleiteten Glaubensgemeinschaft zu outen. Kritische Zeitgenossen würden sagen: als Mitschafe der Schafherde. Reflexionen und Trauer über sich selbst und über die Welt um einen herum oder gar kritische Debatten untereinander stören nur das seelische Wohlbefinden. Es ist eine spezifische Form des Weiterso!, dessen Ergebnisse aus der deutschen Geschichte leider zu bekannt sind.