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Wieviele Dissidenten kann sich Deutschland leisten? Über den Willen zur Macht und zum Widerstand

Werte Leser,

die Auseinandersetzung mit Macht und Machtstrukturen rückt in Zeiten, in denen die Bürger vom Staat zunehmend „verpflichtet“ und „kriegstüchtig“ gemacht werden, wieder in den Fokus des gesellschaftskritischen Diskurses.

Was ist Macht?

Anderen vorschreiben zu können, wie sie sich verhalten müssen, ist eine sinnvolle Definition von Macht. 

In diesem Sinne hat der Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Stadt Macht und übt diese aus, wenn er einen Autofahrer anweist, sein Auto wegzufahren, genauso wie ein Ausbilder der Bundeswehr, der einen angehenden Grenadier anweist, seine Hose in die Stiefel zu stecken, oder ein Richter des Amtsgerichts, der entscheidet, dass ein Kind zukünftig vom Jugendamt betreut wird, oder ein Lehrer des Schulamtes, der einen Schüler anweist, konzentriert zu arbeiten, oder ein Priester der katholischen Kirche, der einen Ministranten anweist, das Kreuz in der Prozession würdevoll zu tragen, oder ein Schaffner der Bahn, der einen Fahrgast des Zuges verweist.

Konstituierend für einen Rechtsstaat ist, dass die Machtausübung der Mitarbeiter und Beamten staatlicher und staatsnaher Organisationen nicht willkürlich erfolgt sondern an Gesetze und Verordnungen gebunden ist. Die Mitarbeiter und Beamten üben demnach übertragene oder verliehene Macht aus. Häufig jedoch lassen Gesetze und Verordnungen den Mitarbeitern und Beamten einen Ermessensspielraum, der je nach Aufgabenbereich sehr umfangreich ausfallen kann.

„Ziehen Sie die Maske auf! Es ist Ihre Pflicht!“

Stellen Sie sich ein 6-jähriges Kind in der ersten Klasse vor, zu dem ein Lehrer sagt: „Zieh die Maske über Deinen Mund und Deine Nase! Du gefährdest sonst Deine Mitschüler!“ 

Das ist genauso passiert in Deutschlands Schulen — tausendfach. Gesetze und Verordnungen haben Lehrern während des Corona-Regimes die Macht verliehen, Kinder anzuweisen, eine Maske über Mund und Nase zu ziehen. Und Lehrer haben von dieser Macht Gebrauch gemacht — tausendfach. 

Natürlich gab es aber auch Lehrer — und einige sind mir tatsächlich persönlich bekannt —  die haben Protestnoten an die Schulleitungen geschrieben und haben weggesehen, wenn ein Schüler die Maske nicht oder nicht „richtig“ über dem Gesicht trug. Das gab es auch.       

Der innere Zustand, das Gefühl des Machtausübenden ist ein wichtiges Fundament von Macht und Machtstrukturen. Mit der Ausübung von Macht geht ein gesteigertes Selbstwertgefühl einher — das sogenannte Machtgefühl. Das Machtgefühl und seine unterschiedliche Ausprägung in der Persönlichkeitsstruktur hat Einfluss darauf, wie Menschen miteinander umgehen und wer bestimmte private und berufliche Rollen und Aufgaben übernimmt — wer beispielsweise Lehrer, Schulleiter oder Schulminister wird. Der Wille oder die Motivation zur Ausübung von Macht, kurz der Wille zur Macht, ist ausgeprägter, wenn der Nutzen der Machtausübung durch das gesteigerte Selbstwertgefühl ausgeprägter ist. Die positive Verknüpfung von Macht und Selbstwertgefühl ist gut durch den evolutionären Vorteil zu erklären, andere für die eigenen Belange arbeiten zu lassen. Die emotionale Ursache der Machtausübung wird meist nach außen hin geleugnet, um die Nützlichkeit der Machtausübung für die Gemeinschaft in den Vordergrund und den persönlichen Nutzen in den Hintergrund zu stellen. Diese Kommunikation fügt sich gut in den gemeinschaftsstiftenden Kanon christlicher und demokratischer Werte ein, verschleiert aber die fundamentale Bedeutung des persönlichen Machtgefühls in der Bildung von Machtstrukturen. Ohne den Genuss und den Triumph, anderen Menschen etwas vorschreiben zu können, wäre eine Gesellschaftsordnung wie die unsere, die wesentlich durch Machtstrukturen geprägt ist, undenkbar 

Neben dem Element des persönlichen Nutzens von Personen zeichnen sich Machtstrukturen in der Regel durch einen institutionellen Rahmen aus. Zwei wesentliche Merkmale institutioneller Machtstrukturen, gegenüber unorganisierter, nicht institutionalisierter Macht, sind zum einen die Entkopplung des Willens zur Macht von der tatsächlich ausgeübten, durch Institutionen verliehene Macht und zum anderen die Beharrlichkeit (= Persistenz) der Macht. Die Grenzen des persönlichen Willens zur Macht werden durch Institutionen entkoppelt von ihrer natürlichen Ausprägung. Menschen, die einen schwach ausgeprägten Willen zur Macht haben, werden durch institutionelle Machtstrukturen mit Aufgaben versehen und in die Lage versetzt, Macht in einem Maße auszuüben, das die Grenzen ihres eigenen Willens erheblich übersteigen kann. Eine eingeübte, mentale Struktur und das „Sich Verlassen Können auf die Regeln und Institutionen“, sprich ein Gruppenzugehörigkeitsgefühl oder eine kollektive Identität, wirken dabei einer übermäßigen Belastung der Nerven und einem Erschlaffen des Willens durch Überforderung entgegen. In dieser Hinsicht kommt in der modernen Gesellschaft dem Schulsystem und den „Leitmedien“ eine Schlüsselrolle zu. Durch die Erziehung im Schulsystem werden Kinder zum Dienst in der institutionellen Machtstruktur vorbereitet. Die „Leitmedien“ führen diese Erziehung über die Schulzeit hinaus fort.   

Der Wille zur Macht wird gefordert und herausgefordert durch den Willen zum Widerstand. Der Widerstand kann Macht begrenzen, sie aber auch bestärken, gar trainieren. Ebenso wie der Wille zur Macht ist der Wille zum Widerstand durch seinen Einfluss auf das Selbstwertgefühl ausgeprägt. Der Unterschied zwischen dem Willen zur Macht und dem Willen zum Widerstand liegt in der Abfolge des Aufeinandertreffens begründet. Der Wille zur Macht äußert sich in einem Impuls, der Wille zum Widerstand äußert sich als Reaktion auf den Impuls. Unterliegt ein Wille in der Auseinandersetzung, wird die „Niederlage“ als Verringerung des Selbstwertgefühls empfunden: Das sogenannte Ohnmachtsgefühl. Die Auseinandersetzung zwischen Macht und Widerstand ist ein fundamentaler Baustein jedes evolutionären Prozesses. Die menschliche Evolution ist besonders in der Eltern-Kind-Beziehung durch diese Auseinandersetzung geprägt, jedoch auch in anderen Bereichen wie beispielsweise der politischen oder ökonomischen Auseinandersetzung. Macht und Ohnmacht sind fundamentale Zustände unseres Menschseins genauso wie sie treffende Beschreibungen gesellschaftlicher Zustände und Entwicklungen sind. Es kommt vor, dass in einer mehrstufigen Auseinandersetzung der Wille zum Widerstand sich zu einem Willen der Macht transformiert und eigene Impulse in Form von Forderungen und Anweisungen setzt. Voraussetzung dafür ist der begleitende Wille zur Erschaffung. Gelingt die Transformation erwächst aus dem Widerstand ein konstruktives Element, das Machtstrukturen verändern kann. Der Widerstand wird zur gestalterischen Macht und schafft neue Ordnungs- und Machtstrukturen. 

Grundsätzlich gilt für das Aufeinandertreffen von Macht und Widerstand, je stärker der Wille zum Widerstand ist, desto stärker muss der Wille zur Macht zur Überwindung des Widerstandes sein. Darüber hinaus nehmen verschiedene Faktoren und Rahmenbedingungen Einfluss auf die Auseinandersetzung. Die Ausprägung der Auseinandersetzung zwischen Macht und Widerstand kann je nach Kontext sehr unterschiedliche Ausmaße zwischen profanen Alltagskonflikten und Familienstreitigkeiten bis hin zu dramatischen Umstürzen, Kriegen und der Ausrottung ganzer Völker und Kulturen annehmen. Trifft der Bürger im Widerstand, als „Dissident“ gezeichnet, auf in eine institutionelle Machtstruktur eingebettete Macht, dann sieht er sich mit der institutionellen Persistenz konfrontiert, die ihm zu überwinden häufig schwierig bis unmöglich erscheint. Das Ohnmachtsgefühl ist daher ein häufiger Begleiter des Dissidenten. 

Hier ein Erlebnisberichte, in dem der Wille zur Macht der Anhänger des Corona-Regimes auf den Willen zum Widerstand in der Deutschen Bahn aufeinandertreffen:

„Gestern bin ich mit dem IC der Deutschen Bahn zweieinhalb Stunden nach Münster zurückgefahren. Als ich kurz vor der Abfahrt auf dem Bahngleis stand, fiel mir auf, dass ich gar keine Maske dabei hatte. Ich schaute kurz nach, ob überhaupt noch die Maskenpflicht in Zügen gilt. Tut sie offenbar. In Fernzügen gilt die Pflicht, eine FFP2-Maske zu tragen.
Der Zug kam. Ich stieg ohne Maske ein. Der Zug war gut besetzt. Ich schaute mich um. Mindestens die Hälfte meiner Mitfahrer trug eine OP-Maske statt der FFP2-Maske. Ich setzte mich und schlug ein Buch auf. Die Fahrt ging los und nach jedem Halt teilte ein Zugbegleiter über den Lautsprecher mit, dass in diesem Zug das Tragen einer FFP2-Maske gesetzlich vorgeschrieben sei. Den Zugbegleiter sollte ich während der ganzen Fahrt nicht zu Gesicht bekommen. Stattdessen rauschten kurz vor Hamm zwei sehr junge, stämmige Männer mit DB-Sicherheitskleidung und -ausrüstung heran und sagten zu mir: „Ziehen Sie bitte die Maske auf“. Ich, ganz verschreckt und eingeschüchtert, erwiderte: „Ich habe keine Maske dabei. Können Sie mir vielleicht aushelfen?“ Einer der beiden sagte: „Ausnahmsweise können wir das machen.“, griff in seine Hosentasche und gab mir — unglaublich aber wahr — eine zerknüllte, schmutzige, komisch riechende, schwarze OP-Maske. Ich war so verdutzt, dass ich mich einfach bedankte und die beiden gingen weiter. Ich brachte es danach nicht über mich, die Maske aufzuziehen, und erreichte wenig später sicher den Bahnhof in Münster.

Mein Fazit aus diesem Erlebnis: Das Bahnpersonal war nicht in der Lage oder Willens die FFP2-Maskenpflicht in diesem Zug durchzusetzen. Dass die Hälfte der Fahrgäste eine OP-Maske trug, wurde toleriert, sofern sie Mund und Nase bedeckte. Ein überfordertes DB-Sicherheitspersonal wurde mit der Aufgabe betraut, unsinnige Kontrollen durchzuführen, die der Zugbegleiter — vermutlich aus Selbstachtung — ablehnte durchzuführen. Noch spannender und aufwühlender für mich wäre die Angelegenheit geworden, wenn ich die Polizei gerufen und die vielen Menschen im Zug wegen des Tragens einer OP-Maske angezeigt hätte und vielleicht gleich auch noch das DB-Sicherheitspersonal wegen Körperverletzung, weil sie mir eine verschmutzte und vermutlich keimbelastete Maske gaben und mich aufforderten, sie über meinen Mund und meine Nase zu ziehen. Zum Glück hab ich das aber nie ernsthaft erwogen und mich stattdessen einfach nur darüber gefreut, dass ich an diesem Tag ohne Maske zweieinhalb Stunden mit der Deutschen Bahn gefahren bin.“ 

Solche Alltagserlebnisse erscheinen auf den ersten Blick gegenüber den Geschichten in Filmen, Serien und Büchern, in denen die fiktiven Protagonisten meist vor Willen strotzen und in denen die Auseinandersetzungen zwischen Macht und Widerstand meist dramatische Formen annehmen, eher unspektakulär — Star Wars ist es jedenfalls nicht. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich in dieser Situation jedoch unzweifelhaft eine Niederlage der Regierung — eine Erschütterung der Macht, wenn man so will —, die nicht in der Lage war, ihre Anweisung zum Tragen einer FFP-2 Maske in Zügen der Deutschen Bahn durchzusetzen. Der Wille zum Widerstand erscheint bei den einzelnen Fahrgästen eher gering ausgeprägt gewesen zu sein — sie trugen ja immerhin OP-Masken — doch ganz offensichtlich kapitulierten der Schaffner und das Sicherheitspersonal vor diesem Widerstand und die Regierung schaffte es nicht, ihre Anweisung durchzusetzen. Der Autor des Erlebnisberichts, der sich hier als Dissident zu erkennen gibt, schaffte es ebenso, sich mit eher zaghaften Mitteln durchzusetzen — auch das geschah in Deutschland in der Corona-Zeit tausendfach. 

Neben Staatskonzernen wie der Deutschen Bahn spielen staatliche Behörden wie das RKI und das Statistische Bundesamt ebenfalls eine tragende Rolle in der institutionellen Machtstruktur. Besonderes Gewicht haben sie insbesondere dadurch, dass bei ihnen viele Informationen und Daten von gesellschaftlichem Interesse wie Gesundheits- und Wirtschaftsdaten und Kriminalstatistiken zusammengetragen werden —  Wer hat wen mit einem Messer erstochen? Wer hat Anschläge auf deutsche Infrastruktur durchgeführt? Wer ist mit und wer ist an Corona gestorben?  Wie überlastet sind die Krankenhäuser? Welche Informationen und Daten von den Behörden bekannt- und weitergegeben werden, entscheidet nicht selten darüber, welcher öffentliche Diskurs überhaupt angestoßen wird, welche Richtung er nimmt und welche Argumente Gewicht bekommen. Die Erfassung, Aufbereitung und Herausgabe der Daten ist daher von erheblicher politischer Bedeutung, der zwar durch Gesetze zur Regulation der Behörden Rechnung getragen wird. die jedoch machtpolitischen Einflussnahmen erheblichen Spielraum lassen. 

Hier ein Erlebnisbericht dazu:

„Anfang September 2023 stellte ich beim RKI für ein Forschungsvorhaben eine Antrag auf Einsichtnahme in ihren Datensatz zur Corona-Hospitalisierungsrate auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städten. Die Kommunikation mit dem RKI war äußerst zäh. Zweimal reagierte des RKI erst nach Fristsetzung und Ankündigung von Untätigkeitsklagen vor dem Verwaltungsgericht. Erst im August 2024 teilte mir das RKI mit, dass der Datensatz nun erst einer datenschutzrechtlichen Prüfung unterzogen werden müsse, da die Aufschlüsselung auf kommunaler Ebene ggf. einen Rückschluss auf bestimmte Personen ermögliche. Über den Ausgang der Prüfung wolle man mich auf dem Laufenden halten. 

Da ich im Rahmen meiner Arbeit bereits Einblicke in einige Forschungsvorhaben hatte, die auf behördliche Daten angewiesen waren, und Forscher kenne, die über die zähe Kommunikation mit Behörden fast verzweifelt sind, bin ich nicht wirklich überrascht über das Verhalten des RKI auch in dieser Angelegenheit. Ich bin überzeugt, das Verhalten dieser Behörde einem Muster folgt und Teil einer Machtstruktur ist, in der die freie und unabhängige Forschung recht weit unten in der Hierarchie steht.“  

Der Erlebnisbericht zeigt ähnlich wie hier (Link) beispielhaft auf, wie Behörden es unabhängigen Forschern und Bürgern schwer machen, auf behördliche Informationen zuzugreifen, die unerlässlich für die Bewertung staatlichen Handelns sind. Dass die Behörden damit dem Geist des Informationsfreiheitsgesetzes zuwiderhandeln ist offensichtlich. Der behördliche Umgang mit Informationen und Daten wird in Diskussionen häufig damit gerechtfertigt, dass eine vollständige Offenlegung und Transparenz „falsche“ Interpretationen und „falsche“ Reaktionen der Bürger zur Folge hätten. Ein Argument, dass der „gemanagten Demokratie“ gegenüber der „mündigen Demokratie“ und damit vermutlich den realen Umständen den Vorzug gibt. Jedoch ist zu bedenken, dass das Etikett „falsch“ für Interpretationen und Reaktionen zu komplexen gesellschaftlichen Ereignissen, Entwicklungen und Problemen häufig mit sehr viel mehr unsicherer behaftet ist, als es suggeriert. Es spiegelt eher Meinungen und Wünsche von Menschen denn objektive Tatsachen wider — insbesondere dann, wenn diese Menschen einen ausgeprägten Willen zur Macht haben und sie oder ihre „Experten“ medial in Erscheinung treten und das Etikett auf alles kleben, das nicht ihren Anweisungen und Forderungen entspricht.

Die Skepsis gegenüber „gemanagten Demokratien“ und ihren Machtstrukturen ist durch die jüngsten Krisen wie der Staatsschuldenkrise, der Flüchtlingskrise und der Corona-Krise und den Umgang mit ihnen mehr als berechtigt. Eine Analyse von Jacques Rancière, der anlässlich der jüngsten Wahlen in Frankreich die derzeitigen Machtstrukturen beschreibt, fasst die Kritik und den Befund der letzten Jahre so zusammen:

[…]

“Es gibt keine Krise der Demokratie, weil es keine wirkliche Demokratie gibt. Es gibt ein fehlerhaftes System, das nicht einmal repräsentativ ist, weil das repräsentative System eine Kontrolle der Wähler über die gewählten Vertreter und die Regierungen voraussetzt, die es derzeit nicht gibt. Was sich in der Krise befindet, ist allenfalls die Konsensutopie der„Manager-Regierung“, die glaubt, man könne ein Land regieren wie eine Geschäftsbank, indem man die Bevölkerung von Zeit zu Zeit um Zustimmung zu ihrer Bilanz bittet. Das Problem ist, dass sie sich damit nicht nur selbst in den Ruin treibt, sondern auch die Bedingungen für eine demokratische Antwort zerstört und den Raum allein den hasserfüllten Tendenzen überlässt.

[…]

Demokratie ist die Macht von Gleichen als Gleiche. Die Ausübung dieser Macht setzt voraus, dass es Diskussions- und Entscheidungsformen gibt, die von den staatlichen Institutionen unabhängig sind und eine Kontrolle über diese ausüben können. Der Wahlapparat ist etwas ganz anderes: Er ist eine Maschine, die das Verhältnis zwischen Macht und Bevölkerung regelt und deren Funktionsweise von der Funktionsweise der Macht selbst abhängt. In einem autoritären monarchischen System wie dem der Fünften Republik macht die immer größer werdende Kluft zwischen der Realität der Macht und dieser Scheinmacht des Volkes die Wahl zu einer Gefühlsmaschine, die nur zwei Arten von Emotionen zulässt: Resignation oder Ressentiment. Unsere Regierungen haben bis zum Überdruss auf die erste gesetzt. Die RN spielt mit der zweiten. Die Demokratie hat mit diesen Spielen nichts zu tun, die im Gegenteil von ihrer Abwesenheit zeugen.”

[…]

(Quelle: https://www.philomag.de/artikel/jacques-ranciere-es-gibt-keine-krise-der-demokratie-weil-es-keine-wirkliche-demokratie)

Die Ausübung von Macht ist nicht nur auf den direkten Kontakt zwischen Menschen beschränkt. Macht wird auch medial durch Einsatz kommunikativer Methoden ausgeübt, deren Spektrum von subtil-überzeugend bis aggressiv-drohend reicht und die ihre Wirkung zu einem erheblichen Teil durch suggestive und hypnotische Mechanismen entfalten. Dass Medien ihre Entstehung und Verbreitung ganz wesentlich der Tatsache verdanken, dass sie als kostengünstiges und effektives Transmissionsinstrument für selektive Informationen sowie Forderungen und Anweisungen gut geeignet sind, ist offenkundig und lässt sich anhand vieler historischer Beispiele nachverfolgen. In der heutigen Zeit kommt durch ihre ständige Verfügbarkeit und Nutzung den Medien eine Bedeutung zu, die in ihrem fundamentalen Einfluss auf Macht und Machtstrukturen kaum zu überschätzen ist. Wir leben ohne Zweifel in einer massenmedialen Gesellschaft. 

So gut sich Medien als Vehikel für Forderungen und Anweisungen grundsätzlich eignen, so stellen sie auch in einer massenmedialen Gesellschaft eine Gefahr für die etablierte Machtstruktur dar. In der massenmedialen Gesellschaft werden tragende Elemente der Machtstrukturen fortlaufend durch hochfrequente, häufig unstrukturierte und teils vom Widerstand gegen Machtstrukturen genutzte Informationen dekonstruiert. Um trotzdem in der massenmedialen Gesellschaft etablierte Machtstrukturen zu erhalten, ist eine permanente Kontrolle, Einordnung und Strukturierung der Informationen durch Leitmedien zur Bildung einer Mehrheitsgesellschaft mit einem moralischen Gruppenbewusstsein und passenden Glaubenssätzen zu aktuellen politischen Entwicklungen unerlässlich. Sogenannten „Torwächtern“ (engl. Gatekeeper), damit sind Redaktionsleiter und Einflusspersonen in großen Medienunternehmungen und religiösen Verbänden sowie ihre Entourage gemeint, kommt eine Schlüsselrolle zur Etablierung eines unterstützenden Gruppenzugehörigkeitsgefühls zu. Besonders deutlich tritt diese Schlüsselrolle in gesellschaftlichen Krisensituationen zutage. Es war kein Zufall, dass die großen und etablierten Medienhäuser und die Kirchen in den Krisen der jüngeren Geschichte das Regierungshandeln und die etablierten Machtstrukturen kaum kritisch hinterfragt haben und stattdessen vielfach als ihre Advokaten aufgetreten sind. Sie sind ein Teil der etablierten Machtstrukturen. Sie stützen diese, weil sie davon profitieren.   

Vor diesem Hintergrund müssen die medialen, teils staatlich direkt oder indirekt finanzierten Unternehmungen — insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Kirchen — als Machtinstrumente zur Stabilisierung von Machtstrukturen eingeordnet und analysiert werden. In der Corona-Zeit ist auch für ein jüngeres, bisher naives Publikum offenkundig geworden, dass selbst  in „demokratischen Gesellschaften“ Menschen mit dem Willen zur Macht zur Durchsetzung Ihres Willens rigoros massenmediale Techniken der Propaganda und Manipulation einsetzen. Ältere Bürger hatten den „Vorteil“, bereits häufiger Zeugen eines solchen „Krisenmanagements“ geworden zu sein. 

In der Corona-Zeit haben Medien, die einen strukturierten und eloquenten Widerstand gegen die Leitmedien und die etablierten Machtstrukturen leisteten, zahlreichen Zulauf erhalten. Auch die weniger strukturierten Diskussionen und Informationsdeutungen in den sozialen Netzwerken haben an Dynamik und Einfluss dazu gewonnen. Diese Entwicklung stellt eine weitere Herausforderung für die etablierte Machtstruktur dar. Als Faustregel gilt, je stärker der Widerstand, desto stärker muss der Wille zur Macht sein, um den Widerstand zu überwinden. Für viele steht viel auf dem Spiel. Der Eindruck drängt sich auf, dass immer verzweifelter nach neuen „Schuld-Gruppen“ gesucht wird, um einer schwindenden Mehrheit das Gefühl moralischer und rationaler Überlegenheit zu geben: Die „überbezahlten Südländer“ in der Staatsschuldenkrise, die „ungeimpfte Tyrannen“ in der Corona-Krise, die „engstirnigen Ewiggestrigen“ in der Migrationskrise und zwischendurch immer wieder die „faulen Arbeitslosen“ in der sich zunehmend verschärfenden, ökonomischen Krise der Erwerbsbevölkerung. Wann reicht das nicht mehr? Welche Repressionen werden Minderheiten und Dissidenten noch erleben? Wann zerfällt die Mehrheitsgesellschaft, weil sie die kognitive Dissonanz (Link) nicht mehr aushält und erkennt, dass sie Steigbügelhalter für eine etablierte Machtstruktur ist, die ein desolates „Krisenmanagement“ hervorbringt? Wieviel 180 Grad Wenden verträgt eine Machtstruktur zur Anpassung, bevor sie zerbricht?

Eine dysfunktionale Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass die etablierte Machtstruktur entweder zu schwach ist oder nicht willens, gesellschaftsrelevante Probleme und Krisen zu lösen, gleichzeitig aber zu stark, um vom Widerstand und leidtragenden Bürgern der Krisen verändert zu werden. Bestenfalls Stillstand, häufig jedoch Siechtum in Kunst, Kultur und Wirtschaft sind Symptome der dysfunktionalen Gesellschaft. Auf Dauer ist dieser Zustand nicht angelegt. Am Ende steht der Zusammenbruch. Dass er im Falle Deutschlands nach den totalitären Tendenzen und jüngster Zeit und am Vorabend zum Krieg dramatisch aussehen wird, ist nicht unwahrscheinlich.

Der Endpunkt einer institutionellen Machtstruktur kann etwa so aussehen: Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!

Dieser bekannte Spruch der Friedensbewegung in Anlehnung an Carl Sandburg beschreibt den Punkt, an dem institutionelle Machtstrukturen zusammenbrechen. Krieg ist die äußerste, institutionalisierte Manifestation des Willens zur Macht. Er ist das drastischste Instrument. Er ist das letzte Aufgebot. Wenn ein Oberbefehlshaber einen Angriffsbefehl gibt und er wird nicht ausgeführt, bricht augenblicklich die Machtstruktur zusammen. Keine andere Anweisung stellt ein so hohes Risiko für die Machtstruktur dar und wird deshalb, wenn sie nicht umgangen werden kann, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vorbereitet. 

Die neue Härte sowohl der Regierung als auch der Behörden und Medien gegen Migranten, die nun der etablierten Machtstruktur und ihrem „Krisenmanagement“ und ihren Finanzen im Wege stehen, wird bald auch viele andere „unerwünschte“ Bürger treffen. Deutschland schließt seine Grenzen. Deutschland verschärft die Kontrollen im Inneren. Deutschland wird „kriegstüchtig“ gemacht, um die etablierten Machtstrukturen zu stabilisieren, deren Willen zur Macht sie zuletzt tief hinein in die Auseinandersetzung mit den Machthabern und der Machtstruktur in Russland geführt hat.  

Im Angesicht der atomaren Bedrohung kann es darauf nur eine Antwort geben: Dissidenten in Deutschland leistet Widerstand! Mehr noch, Dissidenten in Europa, in der Ukraine, in Russland, in den USA, in China, in Indien, in Israel, in Gaza, im Iran, in der ganzen Welt leistet Widerstand gegen die etablierten Machtstrukturen, die die Welt offenkundig in den Untergang führen! Setzt eigene Impulse! Baut eine neue Ordnung! Eure Kinder werden es Euch nicht danken, weil sie den Frieden genauso wie wir in Friedenszeiten dann als selbstverständlich hinnehmen werden, aber sie werden leben.

Also sprach Zarathustra: „Ach meine Freunde! Dass euer Selbst in der Handlung sei, wie die Mutter im Kinde ist: das sei mir euer Wort von Tugend“

Werte Leser, bleiben Sie achtsam!

Herzliche Grüße,
Matthias Hartermann