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Amtskirche und christliche Gemeinschaft: Von Mauern und Liebe

Werte Leser,

Frohe Ostern!

Mit diesem traditionellen Gruß wünschen wir einander in diesen Tagen eine gute Zeit! Christen wünschen, sofern sie hierin nicht nur eine Floskel dieser Tage sehen, dem Gegenüber sogar eine gesegnete Zeit, in der der Einzelne sich nicht nur mit sich selbst, seinem Verzagen, seinen Fehlern und seiner Hoffnung auseinandersetzen, sondern auch den Zuspruch Gottes geschenkt bekommen und erfahren möge, dass er ein über alles geliebtes Kind Gottes ist. Deswegen heißt es ja auch FROHE Ostern. „Froh“ bedeutet „von Freude erfüllt“ und kann etymologisch sogar mit der daraus resultierenden Aktion des ausgelassenen Springens, des vor Freude Hüpfens in Verbingung gebracht werden. Jemandem aufrichtig und von ganzem Herzen „Frohe Ostern“ zu wünschen, heißt also, jemandem zu wünschen, die eigene Großartigkeit trotz aller (vermeintlicher) Fehler zu erkennen und in diesem Gefühl sein Leben vor sich und mit anderen ausgelassen und freudvoll zu gestalten.

Von der Kirchengemeinde, in der ich Ostern feiere, erwarte ich, dass sie mir genau hierbei hilft – das Frohsein in der gemeinsamen spirituellen Auseinandersetzung mit der biblischen Osterbotschaft zu erfahren.

Eine Kirchengemeinde in Münster zu finden, die diese Erwartung erfüllt, gestaltet sich dieser Tage jedoch schwierig.

Von der evangelischen Gemeinde in meiner Nachbarschaft, der Apostel-Kirchengemeinde im Centrum von Münster, bin ich seit ihrem Verhalten in der Corona-Zeit so enttäuscht, dass ich sie kaum noch besuche. Dieser Gemeinde waren in der Corona-Zeit grundsätzlich nur Gottesdienstbesucher erwünscht, die geimpft oder getestet waren, und von besonderen Gottesdiensten wurden „ungeimpfte“ Gemeindemitglieder gänzlich ausgeschlossen.

Dies wurde von der offiziellen Seite der Gemeinde beispielsweise in der Weihnachtszeit 2021 auf diese Weise kommuniziert:

„Für die Gottesdienste in der Weihnachtszeit gelten besondere Regeln, damit wir alle halbwegs entspannt und sicher miteinander feiern können: Es gilt die 2G-Regel (immunisierten Personen gleichgestellt sind nach CorSchVO Kinder und Jugendliche bis 15 Jahren sowie Schüler:innen bis 17 Jahren). Es gibt ein auf ca. 180 Plätze reduziertes Platzangebot, um Abstände einhalten zu können. Wir tragen Masken (OP, FFP2). Alle Ausführenden sind 2G+.“

Meiner Kritik entgegnete der örtliche Pfarrer, es werde niemand ausgeschlossen; jeder habe ja die Möglichkeit, dann einfach in eine andere Gemeinde zu gehen.

Abgesehen davon, dass andere – also für alle Menschen offene – Gemeinden sehr rar in Münster gesät waren, ist es nicht „einfach“, bedeutende christliche Feste in einer fremden Gemeinde zu feiern und der österlichen Botschaft nachzuspüren, die ihre Wirksamkeit ja gerade auch in Gemeinschaft entfaltet.

Abgesehen vom exkludierenden Verhalten der Gemeinde in der Corona-Zeit kommt hinzu, dass mich das Programm und die Intention der Gemeinde schon lange nicht mehr anspricht.

Dazu ein aktuelles Beispiel: Jüngst fand ich in unserem Briefkasten die Einladung, Ostern in dieser Gemeinde zu feiern. Die Einladung steht unter einem Vers aus der Emmaus-Erzählung:

Brannte nicht unser Herz in uns?“ (Lk 24,32).

Auf der Rückseite der Einladung findet sich eine Auslegung des Verses. Hier zunächst der erste Teil:

„Jesus hatte den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus die Augen geöffnet. Für das Leben. Das spürten sie, obwohl sie ihn nicht gleich erkannt hatten. Doch das Äußere ist nicht so wichtig.“

Dazu fällt mir Folgendes auf: Erstens hatte Jesus ihnen laut der entsprechenden Perikope im Lukasevangelium eben (noch) nicht die Augen geöffnet – das Erkennen Jesu ereignet sich erst, als Meister und Jünger später miteinander so zusammen Mahl halten, wie die Jünger es noch aus den gemeinsamen Tagen mit ihrem damals noch lebenden Meister kennen. Zweitens wundert mich die pauschale Aussage, dass Äußere sei nicht so wichtig, da hier eben auch nicht das Innere zum Erkennen beiträgt, da die Jünger Jesus, wie geschrieben, noch nicht erkennen und zudem das Äußere wie das Innere in Symbiose zum Menschen als Geschöpf Gottes dazugehören und Ersteres gegenüber Letzterem von Jesus nie abgewertet wird. Was soll uns dieser Satz also sagen?

Die Auslegung geht wie folgt weiter:

„Denn auf das Herz kommt es an. Auf die Wärme. Auf die Gemeinschaft. Auf die Sehnsucht. Auf die Flamme der Hoffnung. Wenn das Herz für das Leben brennt, dann ist Jesus dabei. Heute noch. Denn die Liebe für das Leben ist typisch Jesus.“

Das Herz – hier wohl Synonym für das Innere – schlägt also das Äußere!? Und wie? Hier begegnet dem Leser eine Aneinanderreihung von Abstrakta, deren Füllung schwer fallen dürfte. In der Szenerie der Emmaus-Perikope und auch in deren Anschluss geht das Erkennen Jesu noch nicht in ein durch diese Begriffe geprägtes Handeln über. Vielmehr sind die Jünger zunächst einmal völlig erschrocken, beschämt, überrascht, ergriffen davon, wirklich dem vermeintlich toten Jesus begegnet zu sein und ihn zunächst einmal nicht erkannt zu haben, obwohl sie durch Schrifttradition und Jesu Verkündigung besser hätten vorbereitet sein müssen. Dann stellt sich zumindest mir die Frage, was diese Abstrakta in ihrer Übertragung auf heute – denn genau das will diese Einladung im Stile einer Mini-Homilie ja leisten – genau bedeuten: Wärme wem gegenüber? Gemeinschaft mit wem? Sehnsucht und Hoffnung worauf?

Dass der Leser das nicht nach Belieben füllen darf, ergibt sich bei einem Blick auf die aktuelle Kirchenpolitik: Nicht jeder wird von der evangelischen Kirche als Teil der Gemeinschaft angesehen. Im Gegenteil wurden und werden viele Menschen aus politischen Gründen ausgeschlossen. Das „Äußere“ ist in der evangelischen Kirche also offenkundig doch nicht so unwichtig.

Dann hat die auch von der evangelischen Kirche getragene Werbung, dass Sich Impfen Lassen mit Nächstenliebe gleichzusetzen sei, erstens die Selbstliebe – die ja auch zu den Jesuanischen Geboten gehört – außer Acht gelassen (die sich unter anderem in der Pflicht zu einem verantwortungsvollen Umgang mit sich selbst, in einer auf Abwägung von Pro und Contra fußenden ethischen Urteilsfindung oder der berechtigten Sorge vor Impfschäden manifestiert) und zweitens gezeigt, dass die „Flamme der Hoffnung“ in der evangelischen Kirche auf jeden Fall nicht brennt, um auf das österliche Licht der Auferstehung und das Aufgehobensein in Gottes Schöpfung und Fürsorge zu weisen.

Was soll uns diese Aneinanderreihung also sagen?
Wozu lädt mich meine Ortsgemeinde mit diesen Worten also ein?

Die Jünger stellen sich, als sie Jesus endlich erkannt haben, immerhin die selbstreflexive Frage: „Brannte nicht unser Herz in uns?“ Ob und was die evangelische Kirche sich im Rahmen einer kritischen Selbstreflexion gefragt hat, als die Gottesdienste wieder für Geimpfte und Ungeimpfte geöffnet und die öffentlichen Plakate, die Impfen und Nächstenliebe gleichsetzten, abgehängt waren, weiß ich bis heute nicht, da dies selbst denen, die noch zur Kirche gehören, nicht kommuniziert worden ist.

Doch nicht nur die evangelische Gemeinde in meiner Nachbarschaft verursacht Konfusion. Die Plakate und die Homepage der katholischen Liebfrauen-Überwasser-Gemeinde werben für ein Osterfest, das dieses Jahr quasi in Verlängerung der Fastenzeit unter das Motto „So viel du brauchst… Fastenaktion für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit“ gestellt ist.

Die Fastenzeit als Vorbereitungszeit auf Ostern wird hier also nicht abgegrenzt, vielmehr geht die eine Zeit in die andere über, wird bemerkenswerterweise keine Zäsur (in Form des österlichen Geschehens!) gesehen. Selbstverständlich werden dem Leser auch konkrete Vorschläge gemacht, wie er das Klima schützen und für mehr Klimagerechtigkeit sorgen kann: sparsamer Umgang mit Energie, Fahrradfahren, Nutzung eines E-Autos, Sammelbestellung von Solarmodulen für das Eigenheim etc.

Mir stellt sich hier direkt die Frage, wie nun – am Ende der Fastenzeit – die theologische Brücke vom Klimaschutz und der Klimagerechtigkeit zur Osterbotschaft geschlagen werden kann. Hüpfe ich vor Freude, wenn ich mehrere Wochen den Energiesparmodus meines Handys aktiviert hatte? Fühle ich mich als Kind Gottes besonders angenommen und geliebt, wenn ich den Wochenendeinkauf für eine fünfköpfige Familie mit dem Fahrrad statt mit dem Auto erledigt und die 160 km entfernt wohnende Oma nicht besucht habe, da dies mit dem Fahrrad (und mit dem Zug) schlechterdings unmöglich ist? Auf die Spitze getrieben: Bin ich eigentlich nur dann angenommen und geliebt, wenn ich das Klima schütze – und zwar nach den Vorgaben meiner Ortsgemeinde?

Und jetzt noch dreimal anders gefragt:

Warum hält sich meine katholische Ortsgemeinde eigentlich für qualifiziert, mir die Schlagworte Klimaschutz und Klimagerechtigkeit inhaltlich zu füllen und ein mehrwöchiges – angesichts der von mir zitierten Beispiele eher als dünn und unterkomplex zu charakterisierendes – Programm zu dessen praktischer Umsetzung zu entwerfen?

Worin besteht der theologische Zusammenhang zwischen dem Einsatz für den Klimaschutz — wobei eine gelungene Konkretisierung erst noch zu diskutieren wäre — und der Osterbotschaft, der es rechtfertigt, dass meine Ortsgemeinde dazu eben ein alternativloses Angebot macht, weswegen ich dazu gezwungen bin, mich mit ihm auseinandersetzen und mich darauf einzulassen, wenn ich Ostern dort feiern möchte?

Inwiefern ist es überhaupt notwendig und geboten, ein politisches Thema ausgerechnet mit dem höchsten christlichen Feiertag zu verknüpfen und ist uns die christ(!)-liche Botschaft von der Erlösung des Menschen durch Gott und die Überwindung des Todes in der Auferstehung nicht mehr genug, sodass wir ein tagesaktuelles Politikum einflechten müssen, das allerdings weder mit Erlösung noch mit Auferstehung zu tun hat?

Es wäre nicht richtig, die christliche Gemeinde als Ganzes durch einzelne Fallbeispiele zu kritisieren, ohne auch zu bemerken, dass es durchaus auch positive Entwicklungen und Initiativen für Christen wie mich gibt.

Eine Gemeinschaft in meiner Nachbarschaft scheint mir – Gott sein Dank! – erkannt zu haben, was wir in diesen Tagen und immer Großartiges feiern dürfen. Sie kommt ohne eine Verknüpfung mit politischen Themen aus, die ohnehin vor zweitausend Jahren noch nicht relevant waren und es in einigen Jahren vermutlich schon nicht mehr sein werden. Sie bietet die Möglichkeit, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, der eigenen Beziehung zu Gott nachzuspüren, Stärkung in der Gemeinschaft von Gläubigen zu erfahren und die Verkündigung vom Angenommensein durch Gott anzuhören und anzunehmen. Und das ohne mich jemals nach Impfstatus oder Wahlverhalten gefragt zu haben – einfach weil es für den Glauben an Gott, meine Annahme durch ihn und die Gemeinschaft von Gläubigen im Geiste Gottes unerheblich ist.

Die Gemeinschaft nennt sich „Emmanuel“ – aus dem Hebräischen übersetzt: Gott mit uns.

Sie stellt die Aktionen, die sie rund um Ostern anbietet, im Übrigen – auf dessen religiösen (!) Nukleus fokussiert – einfach unter das Motto „ Leiden, Tod und Auferstehung Jesu“.

In dem Nachspüren dieser Ereignisse im Leben Jesu, deren Überlieferung uns den Neufang nach dem vermeintlich absoluten Ende, ja unsere Erlösung verheißt, feiere ich von Herzen gerne Ostern!

Und in diesem Sinne wünsche ich Ihnen frohe Ostern!

Herzliche Grüße,
Dr. Viktoria Hartermann