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Einsichtnahme in die Corona-Lageberichte: E-Mail an die Fraktionsvorsitzenden des Landtages NRW

Update 4: Am 23.4.2024 antwortete Jochen Ott (Fraktionsvositzender SPD, Landtag NRW) auf meine offene E-Mail. Seine Antwort finden Sie, werte Leser, unten auf dieser Seite.

Update 3: Am 26.3.2024 wurde ich vom Verwaltungsgericht Münster darüber in Kenntnis gesetzt, dass die zuständige Richterin einem Antrag der Bezirksregierung, gez. Dr. Katharina Zander-Kallerhoff (Bezirksregierung Münster, Ordnungsrecht, Gesundheit, Sozialwesen, Gefahrenabwehr, Verkehr), auf Fristverlängerung bis zum 24.5.2024 stattgegeben hat. Der Antrag gibt als Grund für die Fristverlängerung eine erforderliche intensive Abstimmung verschiedener Stellen des Landes NRW an. Worauf sich die Fristverlängerung bezieht, steht nicht in den mir zugesandten Dokumenten.

Update 2: Am 6.3.2024 erhielt ich von Prof. Dr. Frank Stollmann (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW) die Nachricht, dass er bzw. die Regierung NRW vorläufig keine Stellungnahme zum Vorgang abgeben, da sie erstmal das gerichtliche Verfahren abwarten.

Update 1: Am 8.2.2024 habe ich Klage beim Verwaltungsgericht Münster gegen die Bezirksregierung Münster eingereicht.

Datum Erstveröffentlichung: 26.1.2024

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich schreibe Ihnen in dieser Sache, um Ihnen die Möglichkeit zu einer Stellungnahme zu geben.

Am 5.9.2023 stellte ich bei der Bezirksregierung Münster (Dezernat Gefahrenabwehr, z.H. […]) den Antrag auf Einsichtnahme in die Corona-Lagerberichte des Krisenstabes, die vom 2.3.2020 bis zum 17.3.2022 erstellt wurden.

Meine Beweggründe für den Antrag habe ich in öffentlichen Beiträgen dargelegt:
https://www.grundrechte-ms.de/zwischenspiel-staatliche-luegen-und-buergerliches-verhalten
https://www.grundrechte-ms.de/bezirksregierung-muenster-leitung-des-corona-krisenstabs-versucht-einsicht-in-seine-corona-lageberichte-zu-verweigern
https://www.grundrechte-ms.de/regierungsbezirk-muenster-wie-belastet-waren-die-krankenhaeuser-im-winter-2021
https://www.grundrechte-ms.de/kein-weihnachtsmarkt-fuer

Im Dezember und Januar wurde derselbe Antrag von weiteren Bürgern (in CC) aus dem Münsterland gestellt.

Die Bezirksregierung (in CC) lehnte vor wenigen Tagen die Anträge insoweit ab, wie sie die Einsichtnahme in die Lageberichte betreffen, die im Zeitraum zwischen dem 6.7.2020 und dem 17.3.2022 erstellt wurden. Dies geschah mit folgender Begründung:

„In diesem Zeitraum wurden die Lageberichte als Verschlusssache VS-NfD nur für Dienstgebrauch eingestuft. Der Krisenstab war […] zu der Einschätzung gelangt, dass sich eine Veröffentlichung der in den Lageberichten enthaltenen Informationen für die Interessen der nordrhein-westfälischen Landesregierung und ihrer nachgeordneten Behörden als nachteilhaft erweisen könnte.“

Die Bezirksregierung Münster führt dazu aus:

„[Es] kamen in diesem Zeitraum auch strategische und […] taktische Entscheidungen der Gesundheits- und Ordnungsbehörden hinzu. Diese hätten sich bei Bekanntwerden für die gegen die Corona-Pandemie ankämpfende Landesverwaltung im Einzelfall als nachteilig auswirken können. Außerdem enthalten diese Lageberichte Informationen zur Auslastung von Intensivstationen, die im Einzelfall zu Beunruhigung und falschen Reaktionen der Öffentlichkeit hätten führen können. Die zu Grunde liegenden strategischen und taktischen Grundlagen werden zukünftig auch weiterhin genutzt, sodass eine andere Einstufung derzeit nicht in Frage kommen kann.“

(Den vollständigen Bescheid finden Sie im Anhang.)

In zwei Wochen werde ich Klage beim Verwaltungsgericht Münster gegen die Ablehnung der Einsichtnahme für diesen Zeitraum einlegen, da ich der festen Überzeugung bin, dass eine Veröffentlichung der Lageberichte im Interesse der Bürger und im Interesse der Regierung und der nachgeordneten Behörden ist.

Dazu ein paar erklärende Worte und ein Appell an Sie:

Die Notwendigkeit und der Erfolg der getroffenen Corona-Maßnahmen gemessen an den öffentlich kommunizierten Zielen der Regierung wird nicht nur unter Wissenschaftlern kontrovers diskutiert, sondern ist ein Thema, das Millionen Bürger aus allen gesellschaftlichen Bereichen noch immer beschäftigt und verunsichert. Das ist verständlich, setzte die Regierung doch durch die Maßnahmen fundamentale Grundrechte und Freiheiten ad hoc außer Kraft und erzeugte in Kombination mit einer autoritären Kommunikationsstrategie ein repressives gesellschaftliches Klima, dessen Tonlage noch lange im Bewusstsein der Bürger nachhallen wird und bereits jetzt den Stil des gesellschaftliche Umgangs miteinander sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum prägt.

Zu diesem gesellschaftlichen Problemfeld kommt erschwerend hinzu, dass eine erhebliche Diskrepanz zwischen der öffentlichen Darstellung der Regierung und ihrer nachgeordneten Behörden zur Notwendigkeit und zum Erfolg der Maßnahmen auf der einen Seite und den tatsächlichen Erfahrungen der Bürger auf der anderen Seite immer offensichtlicher wird. Diese Diskrepanz verursacht eine kognitive und emotionale Dissonanz bei denjenigen, die das Handeln der Regierung in dieser Sache bisher verteidigt haben, und führt bei nicht wenigen von ihnen zu einem erheblichen Vertrauensverlust in die Aufrichtigkeit und Redlichkeit der Bundes- und Landesregierungen und ihrer nachgeordneten Behörden in Deutschland. Die negativen Konsequenzen dieser Dissonanz und dieses Vertrauensverlustes für die Stabilität unserer Gemeinschaft und unserer Institutionen sollte meines Erachtens keinesfalls unterschätzt werden, denn sie betreffen insbesondere auch Bürger aus der tragenden Mitte der Gesellschaft.

Solange der Eindruck bestehen bleibt, die Regierung und die nachgeordneten Behörden hielten Informationen über die Notwendigkeit, den Erfolg und die Ziele der Corona-Maßnahmen zurück, solange wird sich der Vertrauensverlust im Bewusstsein der Bürger verfestigen. Solange sie in dieser Sache an Ihrer autoritären Strategie der Lenkung durch Verschleierung festhalten, solange wird auch der Widerstand der Bürger wachsen und dieser Widerstand wird sich zunehmend aus der Mitte der Gesellschaft und aus akademischen und intellektuellen Kreisen speisen — eine schwere Hypothek für die Regierung und Deutschland insgesamt in einer Zeit, in der die Herausforderungen ohne Zweifel bereits gewaltig sind. 

Es ist Zeit! Denken Sie um! Wechseln Sie die Strategie! Setzen Sie auf Ehrlichkeit, Transparenz und Offenheit gegenüber den Bürgern dieses Landes! Sorgen Sie dafür, dass diese Bürger Einsicht in die gesamten Corona-Lageberichte der Bezirksregierung Münster erhalten, die als Begründung für grundrechtseinschränkende Maßnahmen angeführt wurden!

Vielen Dank!

Mit freundlichen Grüßen,
Matthias Hartermann

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Stellungnahme Jochen Ott (Fraktionsvositzender SPD, Landtag NRW) vom 23.4.2024:

Sehr geehrter Herr Hartermann,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 24.01.2024 zur Aufarbeitung der Corona Pandemie. Bitte entschuldigen Sie die späte Antwort auf Ihr Anliegen.

Der Beginn der Corona Pandemie im Frühiahr 2020 hat für uns als Gesellschaft einen Paradigmenwechseldargestellt. In dieser schwierigen Zeit mussten unter hohem Druck notwendige Maßnahmen getroffen werden. Im Nachhinein müssen wir als Gesellschaft aber insbesondere die politischen Akteure hinterfragen, inwieweit diese weitreichenden Entscheidungen gerechtfertigt waren und welche Lehren wir aus der Corona Pandemie für eine eventuelle zukünftige Pandemie ziehen können. Dieser Verantwortung kommen wir als SPD-Landtagsfraktion in NRW nach. In der Enquetekommission I| („Krisen- und Notfallmanagement”) setzen wir uns daher aktiv für eine sinnvolle und angemessene Aufarbeitung der Corona Pandemie ein.

Dabei ist uns als SPD-Landtagsfraktion der ständige Austausch mit allen relevanten Akteuren des Gesundheitsbereichs in NRW sehr wichtig, um die diversen Blickwinkel der aktuellen gesundheitspolitischen Debatten zu vereinen. Ich möchte mich deshalb ausdrücklich für Ihr Schreiben bedanken.

Mit freundlichen Grüßen,
Jochen Ott